16 Traumstücke
Glasfiberstäbe # 3 Es hat vor allem lange gedauert und es war sehr konzentriert. Es gab in dem Traum kein Umfeld mehr. Es war einfach nur dieser Stab auf der Haut und diese Delle in der Haut. Da habe ich ziemlich lange drauf geguckt. Sie ist mir im Traum begegnet, in meiner alten Schule auf dem Gymnasium im Mädchenklo. Dort war nur ich und sie. Sie stand an der Seite, wo die Waschbecken sind und der Spiegel. Und sie kam aus dem Klohäuschen raus und stand aber noch mit dem Rücken an die Kacheln gelehnt in der Ecke zum Klo, zwischen Türe und Wand. Ich stand ihr gegenüber und hatte auf einmal ganz lange Fiberglasstäbe in der Hand, die unten stumpf waren. Mit diesen Fiberglasstäben bin ich dann auf sie zugegangen. Wir haben nicht gesprochen. Sie war ein Opfer in dem Traum und sie war auch ganz nackt. Sie hatte nichts an und ihre Haut war ganz rosa, ganz pastellfarben, zwischen weiß und ganz hellem rosa, wie eine Babyhaut ohne einen Makel, ganz weich, unheimlich weich, aber ganz kraftlos, ohne Spannung war ihre Haut. Ich habe diese Fiberglasstäbe genommen und sie ihr ganz langsam unter die Haut gebohrt. Es war ziemlich schrecklich, das zu machen, weil ihre Haut nicht nachgegeben hat. Es hat so lange gedauert, bis dieser Widerstand der Haut durchbrochen war, und ich in das Fleisch eingedrungen bin.
Glasfiberstäbe, geträumt und erzählt von Katharina Pfaller, # 3 des Videoessays »16 Traumstücke«, 51 min, 2001 © Rose/ZDF »Das kleine Fernsehspiel«
Kugeltraum # 5 Ich weiß nicht, ob ich wirklich diesen Ton gehört habe oder ob das einfach wie ein Ton war, dieses Rollen. Ich dachte immer an Tierschreie, die aber nirgendwo herkamen. Sie waren einfach da. In dem Traum war ich selber eine kleine Kugel. Und zwar war die Kugel wirklich nur relativ klein. Sie war braun, ein Zwischending zwischen beige und braun. Ich war diese Kugel und ich bin auf ganz vielen Bändern rumgerollt und diese Bänder hatten auch dieselbe Farbe wie ich. Der ganze Raum war ausgefüllt mit diesen Bändern. Es war wie eine wahnsinnige Achterbahn. Man konnte nicht sehen, wo diese Bänder befestigt sind oder wo dieser Raum endet. Es war einfach eine riesen-, wie eine riesengroße Achterbahn und diese Bänder hatten die Konsistenz – irgendwie hat es mich immer an Fleisch erinnert oder an Stimmbänder. Es war ein ewiges Auf und Ab. Sie hatten keine glatten Schnittkanten. Das waren nicht so gerade Bänder, sondern sie waren wirklich eher organisch geformt. Und das Schreckliche an dem Traum war, dass ich permanent auf dieser Bahn gerollt bin, mal Tal runter und dann wieder Tal rauf. Diese Bewegung auf der Bahn oder auf diesem Band war total gleichmäßig – meistens. Ich höre das fast wie einen Ton, wie so ein schleichendes Sausen. Es ging einfach wie ein kleines Surren oder es war eine ganz ganz glatte Bewegung…, eine ganz ganz gleichmäßige Bewegung. Und dann wurde diese Bewegung von mir so holperig, oder die Kugel hat dann eine Unwucht gekriegt, wie ein Ei. Es ging von einer gleichmäßigen Bewegung langsam über in ein Holpern. Es war eigentlich sehr unangenehm und von Zeit zu Zeit haben sich diese Bänder zusammengezogen, sie wurden plötzlich so schrumpelig…, wie die Haut nach dem Baden, so ungefähr. Es sind erhöhte Grate darauf entstanden, wie vertrocknete Erde, die sich so zusammenzieht oder wie so Kräusel auf einem Pudding. Ich erinnere mich dran, dass ich manchmal schweißgebadet aufgewacht bin, wenn es wieder so schrumpelig wurde. Innerhalb von einem Traum ist das mehrmals passiert. Dann hat es sich wieder entspannt und es ging weiter, wie in einem gut gefederten Auto, eine ganz, ganz ebenmäßige, gleichmäßige Bewegung und dann kam wieder diese Unwucht und ich erinnere mich an Schreie von Tieren oder irgend, irgendwelche Schreie waren manchmal in der Luft. Man konnte nicht sagen woher die kommen, in diesem riesigen Wirrwarr. Auch das Licht war nicht auszumachen. Das war alles eins. Es gab auch keine helleren Stellen oder keine dunkleren, sondern es waren immer diese gleichfarbigen Bänder und diese gleichmäßige Bewegung.
Kugeltraum, geträumt und erzählt von Veronike Hinsberg, # 5 des Videoessays »16 Traumstücke«, 51 min, 2001 © Rose/ZDF »Das kleine Fernsehspiel«
Marmorliege # 11 Er fängt so an: Ich geh mit mehreren Menschen durch eine Stadt, eine verregnete süddeutsche Kleinstadt, um mehrere Ecken über eine Straße, Autos sind geparkt. Ein ganz normales Stadtmoment und wir wollen irgendwohin und gehen um ein Eck-Café. Es ist so eine Glas…, Holz-Glas-Flügeltür – das ist so bei Cafés an der Ecke. Im Sommer stehen die Stühle draußen und man kann von überall rein. Es gibt keine Tür, es ist offen. Ich sag zu den anderen: »Lauft schon, ich komm gleich nach«. Und ich gehe rein und da ist über einer hohen Heizung ein Brett angebracht, wo die ganzen Zeitschriften liegen – auch sehr normal. Ich gucke eine Zeitschrift an, blättere sie auf und da ist eine Werbung drin. Da sieht man folgendes: eine Liege – das ist eine Werbung für Swimming-Pool-Möbel –, eine Liege aus Marmor, dunkelrotem Marmor mit weißen Adern, mit unterschiedlich rosanen und weißen, aber marmoriert und dunkelrot. Es ist auf jeden Fall Marmor, es sieht ganz doll aus wie Marmor und im Nachhinein denke ich: von der Farbgebung her sieht es ziemlich aus wie marmoriertes Fleisch eigentlich, aber erstmal denke ich, es ist Marmor. Die Liege ist ergonomisch geformt, also hinten gewölbt für eine Nackenstütze und man sieht eine kleine Wölbung für den Rücken und hinten noch eine kleine Wölbung für die Knie. Man könnte sich da prima drauflegen, aber es gibt überall so kleine Beulen in dem Marmor, wodurch das völlig unergonomisch ist. Es wäre bestimmt nicht bequem, sich da drauf zu legen. Überall sind so kleine, handgroße Beulen. Wie die Kuhle für den Nacken oder die Wellen für die Knie, sind genauso sanft kleine Beulen ausgearbeitet in diesem Marmor. Wie so unterirdische… Ah! – wie: die Schlange hat das Ei verschluckt. Die Schlange ist ganz gerade und dann macht sie diese leichte Wölbung – ganz weich und rund, weich und rund. Sie sind überall, so kleine handgroße… Dinger. Außerdem ist auf dem Bild eine Art Bodybuilder zu sehen mit einem sonnengebräunten, muskulösen, durchtrainierten Körper: schmal in der Taille, breit in den Schultern – super ausgeprägt alles, und auch der hat eben Beulen. Er ist schon beulig wegen der ganzen Muskeln aber er hat auch Beulen an den falschen Stellen. Er hat hier plötzlich eine Beule wo es anatomisch falsch ist oder hier. Nicht alle handgroß, auch kleinere, aber der Mensch hat genau dasselbe Phänomen wie diese Liege. Überall am ganzen Körper stimmt was nicht. Hier dann plötzlich eine Beule. Das ist nicht normal. Er steht daneben und macht irgendwie…, wie sonst immer die nackte Frau oder die Frau im Badeanzug daneben steht, steht der Bodybuilder neben der Liege, die schräg im Bild steht und daneben steht dann noch ein Satz der heißt: »Oh, ich fürchte, ich bin im Bilde«. Kein werbetragender Satz, aber hey…! Und dann gibt es eine Toneinspielung, was ungewöhnlich ist bei Zeitschriften, aber mir kam es nicht so ungewöhnlich vor. Auf jeden Fall war ein Männerstimme zu hören, die sagte: »Ha ha, da gewöhnen Sie sich besser dran«. – Das war’s.
Marmorliege, geträumt und erzählt von Lily Besilly, # 11 des Videoessays »16 Traumstücke«, 51 min, 2001 © Rose/ZDF »Das kleine Fernsehspiel«
In: Ich fürchte, ich bin im Bild. Goldrausch Künstlerinnenprojekt (Hg.) Berlin 2003